Wie ein Kind stehe ich mit leuchtenden Augen in einer Blumenwiese und quietsche fröhlich beim Anblick der herumfliegenden Seifenblasen. Sie kreisen wie Planeten über meinem Kopf und schillern in den magischten Farben, die ich in meinem kleinen Leben je gesehen habe.
Fasziniert laufe ich ihnen hinterher. Ich will sie einfangen, diese fliegenden Leuchtkugeln, sie berühren, in meinen kleinen Händen, aus nächster Nähe bewundern und mit nach Hause nehmen. Ich möchte so eine Wunderkugel neben mein Bett stellen, damit ich mich jeden morgen nach dem Aufwachen in ihr spiegeln kann. Sie soll mich an diesen Tag erinnern, an dem ich voller Leichtigkeit im Leben stehe, mit großen neugierigen Augen in den Himmel schaue, meine kleinen Arme ausstrecke und überzeugt davon bin, dass Seifenblasen nie zerstört werden. Sie schweben einen Meter über mir. Sie sind zu weit weg, um sie tatsächlich berühren zu können.
Fröhlich laufe ich im Zick-Zack über die Wiese, strecke meine Arme soweit ich kann nach oben, stelle mich auf die Zehenspitzen, falle um, krabbel zwei Schritte weiter, stelle mich wieder auf und laufe weiter. Ich werde sie einfangen, diese lustigen Flugkugeln. Ich weiß es! Juhu! Die Welt ist geschmückt mit unzählbaren Seifenblasen. Das Leben ist toll!
Bevor ich ihnen näher kommen kann, bringt mich meine Mama nach Hause. Sie behauptet, ich wäre müde und es wäre Zeit ins Bett zu gehen. Müde? Ich? Nicht, bevor ich eine Seifenblase eingefangen habe!
Leider bin ich zu klein um schnell genug auf die Wiese zu rennen und zu warten, bis ich größer werde oder die Seifenblasen sich trauen mir näher zu kommen. Wir lassen die Wiese mit dem faszinierensten Flugobjekt der Welt hinter uns zurück.
Seit diesem Tag kann ich nicht aufhören an Seifenblasen zu denken. Ich schwöre mir felsenfest sie wiederzufinden. Und eines Tages werde ich groß genug sein sie einzufangen!
Tage, Monate und Jahre über Jahre vergehen. Die Faszination von Seifenblasen ist bis heute geblieben. Heute bin ich 29. Und noch immer liebe ich diese magisch, schimmernden Kugeln, die wie von Zauberhand durch die Luft schweben. Wenn ich sie sehe spiegelt sich ihr Leuchten in meinen Augen. Meine Augen schimmern dann lila, blau, rot, pink, gelb und grün.
Es kam wie es kommen musste: Ich wurde von Beruf Seifenblasenjäger.
Spiegelt sich das Leuchten der Seifenblasen in meinen Augen, bin ich durch nichts zu stoppen. Ich bin inzwischen alt genug alleine zu entscheiden, wann ich müde bin und ins Bett gehen sollte.
Auf Seifenblasenjagd werde ich nicht müde! Manchmal muss ich sie nur aus anderen wichtigen Gründen vertagen. (Putzen, Kochen, Einkaufen, Eisessen, Fahrradfahren, Telefonieren und dergleichen).
Seifenblasenjäger zu sein ist kein leichter Job. Es macht Spaß, aber man kann damit kein Geld verdienen. Den ganzen Tag herumzulaufen klingt verlockend, ist aber in Wirklichkeit sehr anstrengend und fordert viel mehr Energie als der Beruf des Seifenblasenbeobachters. Der legt einfach nur einen Hut vor sich ab und verdient Geld ohne sich zu bewegen.
Seifenblasen jagen ist nicht leicht. Sie haben die fiese Angewohnheit grundsätzlich einen Meter höher zu fliegen, als man seine Arme ausstrecken kann. Sie wollen nicht gefangen werden. Als Seifenblasenjäger muss man also kreativ sein. Dazu bedarf es viel Lebenserfahrung, Wissen über
Kreativitätstechniken, Zauberkräfte, Fremdsprachenkenntnisse, Abitur, bestenfalls einen Studienabschluss oder eine vergleichbare Jägerausbildung, gute Kenntnisse der Kochkunst und wünschenswerterweise nachweisbare Erfolge in der Seifenblasenjagd.
Ich habe viele Jahre damit verbracht mir einen passend bunten Lebenslauf zusammenzubasteln um eines Tages endlich ein Zertifikat als Seifenblasenjäger zu erlangen. Ich habe Seifenblasen durch die Welt gepustet, habe mich ihnen angeschlichen, unter ihnen getanzt, versucht über sie hinwegzuspringen, ihre Richtung auf dem Kopf stehend mit den Füßen getreten, sie angesungen, ihnen ein Bild gemalt, sie fotografiert, mich umgedreht, mich versteckt, mit verschränkten Armen gewartet und ihre Geschichte studiert.
Vor kurzem waren sie plötzlich so weit weg, so dass ich traurig dachte, nie eine Seifenblase einfangen zu können. Ich erinnerte mich an den Tag auf der Wiese als ich sie zum ersten Mal sah. Der große Traum war wieder da, das Leuchten in meine Augen kam zurück und ich wusste, dass der Moment gekommen war sie endlich einzufangen!
Nach intensiver Vorbereitung wagte ich erneut den Schritt in die Seifenblasenjagd. Diesmal würde es mir ganz bestimmt gelingen! Wozu hatte ich jahrelang trainiert? Auf meine erworbenen Fähigkeiten konnte ich mich verlassen. Mutig und heimlich änderte ich schließlich rapide den Kurs. Die Seifenblasen sollten nicht sehen, dass ich in Wahrheit größer war, als ich vorgab zu sein, damit sie nicht schnell genug höher fliegen konnten.
Und plötzlich waren sie auf meiner Augenhöhe. Hoch erfreut unterdrückte ich ein kindliches Freudensquietschen, damit sie nicht vor mir abhauen würden. Voller Ehrfurcht schaute ich eine Seifenblase an, die viel größer war als ich selbst. Mein ganzes Ich spiegelte sich in ihrer zarten Hülle. Überwältigt von diesem Anblick, zerplatze sie einfach so mit einem leisen Plopp vor meinen Augen.
Plopp.
Und weg war sie. Und mit ihr mein Spiegelbild. Einfach so. Ich hatte sie noch nicht mal angefasst. Erschrocken und verdattert über das plötzliche Verschwinden stand ich da. Sollte dies das Ende einer Karriere als Seifenblasenjäger sein? Stirbt der Beruf aus, wenn es keine Seifenblasen mehr gibt? Was sollte ich stattdessen tun? Fassungslos blickte ich mich um. Nirgends waren mehr Seifenblasen zu sehen.
Wie einst das kleine Mädchen weinte ich über den Verlust der schönsten Magie, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Diesmal hatte mich nicht meine Mama ins Bett gebracht. Es gab keinen Schuldigen. Ich hatte mich selbst entschieden ihnen hinterherzujagen. Dann hatte ich sie mit meinen eigenen Augen platzen sehen, obwohl ich niemals einen Gedanken daran verschwendet hatte, dass Seifenblasen überhaupt zerstörbar sind.
Es dauerte eine Weile, bis ich mich von diesem Schock erholen konnte. Ich kann es noch immer nicht glauben. Das mit dem erfolgreichen Berufsabschluss des Seifenblasenjägers wird wohl nichts. Dieser Tatsache muss ich nun ins Auge sehen. Eine Seifenblase platzt ganz leise, schmerzt aber wie der Schlag einer geschossene Kanonenkugel.
Was ist eine Welt ohne Seifenblasen, ohne all die magischen Momente, über die man sich mit den Augen eines Kindes freut?
Das kann nicht das Aussterben der Seifenblasen gewesen sein!
Ich habe eine neue Mission: Ich werde jetzt Seifenblasenbauer.